Die literarische Übersetzung: Martial und Quevedo

1. Einführung

Das Epigramm hält als literarische Gattung eine besondere Stellung ein. Ursprünglich handelt es sich um innschriftliche Texte, die in der Form des elegischen Distichons auftauchen und dementsprechend aus einem Hexameter und einem Pentameter bestehen. Obgleich diese Gattung ein gewisses Ansehen genoss, wie es dessen Gebrauch in Grabinschriften wie der des Lucius Cornelius Scipio Barbatus1 andeutet, wird das Epigramm öfter als kleinere Gattung behandelt: Cicero2 und auch Martial3 selber reden von einem libellum, einem „Büchlein“, wenn sie sich auf eine Sammlung solcher Verse beziehen. Varro4 spricht von einem Gedicht (poema) nicht jedoch von Dichtung (poesis), da ihm der narrative Leitfaden (argumentum), wie es größere literarische Werke aufweisen, fehlt. Dieses Ansehen, wenn auch im Vergleich zu anderen Gattungen geringer geschätzt, dürfte dem Epigramm wohl erstmals durch Ennius5 zugekommen sein, der ebenfalls ein Grabepigramm für sich selbst verfasste. Die bereits angedeutete innschriftliche Natur des Epigramms und die davon abzuleitende Verbreitung, sowie die Tatsache, dass einer der bekanntesten Epigrammdichter der den poetae noui angehörige Catull sein würde, lässt auf einen volksnahen Charakter schließen. Die Breite der im Epigramm behandelten Themen gibt hierfür genügend Spielraum: mit Catull würde die Grabthematik auch im literarischen Epigramm um vieles erweitert und ergab somit neue Möglichkeiten im Bereich der Liebe, des Trankes, des Spotts oder der Politik. Die thematische Durchlässigkeit des Epigramms, seine sprachliche Knappheit, der Witz und die weite Verbreitung im Volksmund würde die Gattung noch für lange Zeit lebendig erhalten6. Das Interesse an der literarischen Produktion in diesem Bereich würde bis zum Mittelalter und der Renaissance anhalten: mehrere Anthologien, die zum Teil auch nach Spanien gelangten und dort zu Zeiten des Siglo de Oro recht erfolgreich gewesen sein mussten, bezeugen dies. Über die italienische Renaissance kam das Interesse an die antiken Literaturformen und Themen auch nach Spanien. Die Schulen von Salamanca und Sevilla setzten die Grundlagen für die weitere Entwicklung der Literatur und für die angehenden Siglos de Oro españoles.

Im siebzehnten Jahrhundert herrschte politische und wirtschaftliche Unstabilität in Europa und Spanien. Die Ungewissheit im Bezug zur Lage des Landes und seiner Zukunft bedingte den spanischen Barock, der sich einerseits durch ein Verständnis der Künste als Ausweichmöglichkeiten, andererseits durch den Gebrauch der Literatur als Kritikinstrument charakterisierte. Die wichtigsten Vertreter dieser beiden Gesichtspunkte waren je Luis de Góngora, der den culteranismo vertrat, und Francisco de Quevedo, der den conceptismo prägte. Letzterer würde eine Literatur entwickeln, die sich durch den Ausdruck scheinbar gegensätzlicher Umstände in kondensierter Form auszeichnen sollte und im Leser Verwunderung und Staunen hervorrufen wollte. In dem Sinne hat Quevedo eine poesía burlesca entwickelt, die im Kontrast zu der komplexen und oft schwer verständlichen Produktion von Góngora, seinem literarischen Rivalen, stehen würde. So erklärt sich auch das Interesse dieses spanischen Dichters an die Epigramme Martials, die er in freier Übersetzung für seine eigenen Zwecke verarbeitete. Der oftmals pikante Charakter dieser antiken und modernen Gattung, sowie die Nähe zu einer volksgemeinen Art und Weise in Kontrast zur kulturell elitär beabsichtigten Literatur Góngoras würden dem Madrider Dichter Möglichkeiten eröffnen, die er in Anbetracht seines Erfolges auszuschöpfen wusste.

Diese Arbeit setzt sich das Ziel, das freien Übersetzen vom Lateinischen ins Spanische anhand der in Seminaren behandelten Überstezungstheorien erstmals zu erläutern und im Nachhinein anhand konkreter Beispiele von Quevedo und dem dazugehörigen Versen Martials zu analysieren. Die Schwierigkeiten, die eine solche Arbeit mit sich bringt sind nur schwer zu umgehen und es wird gelegentlich auf sie hingewiesen. Der Knappheit halber werden allerdings nur konkrete Probleme bezüglich Form und Inhalt behandelt. Das Problem der Spannung zwischen holistischen und atomaren Übersetzungsvorgehen könnte mit Sicherheit vieles in der Beziehung Martial-Quevedo erläutern, für eine sachgemäße Behandlung dieser Frage gibt es hier jedoch keinen Platz, weshalb sich die Analyse auf drei Beispiele konzentrieren wird.

2. Übersetzung und Literatur in Spanien

In seinem Werk De Oratore7 thematisiert Cicero die Zweckmäßigkeit einer freien Übersetzung8 im Sinne einer guten Rednerausbildung. Er selber hätte es sich schon als Knabe (adulescens) zur Gewohnheit gemacht, griechische Reden ins Lateinische frei zu übersetzen. Dabei ging es Cicero weniger um die Übersetzung als Annäherung an den Originaltext, sondern viel mehr um die Übung im Lateinischen (eloquentia). Mehrere seiner Werke enthalten Übersetzungen von Passagen oder Fragmenten griechischer Autoren und vielerorts wird deutlich, dass Cicero großen Wert darauf lag, die griechischen Originaltexte nicht nur der lateinischen Sprache, sondern auch ihrer Weltanschauung zudienst zu machen. Die Fülle an philosophischen Termini technici, die die lateinische Sprache mit den Übersetzungen Ciceros gewann, ist bemerkenswert.

Quintilian erwähnt in seiner Institutio Oartoria9 erstmals die Tatsache, dass eine Übersetzung einem größerem Publikum dienlich sein kann, da sie diesen Inhalte zur Verfügung zu stellen vermag, die denjenigen, die der griechischen Sprache nicht mächtig sind, auf andere Weise verschlüsselt bleiben würden. Auch er stellt in groben Zügen ein Übersetzungsverfahren vor, das man wohl als „sinngemäße“ Übersetzung benennen dürfte.

Zudem würde der Bibelübersetzer Hieronymus in seiner Epistel an Pammachius anerkennen, dass, mit der Ausnahme heiliger Texte, eine sinngemäße Übersetzung wie sie Cicero vorschlägt gegenüber einer wörtlichen Interlinearversion bessere Resultate verspricht. Kopien der Vulgata, der von Hieronymus latinisierten Bibel, gelangten bereits gegen Ende des vierten Jahrhunderts nach Spanien, als ein gewisser Lucinio Kopisten nach Betlehem sandte um selber ein Exemplar zu erlangen. In der zweiten Hälfte des sechsten Jahrhunderts entstanden die ersten auf der iberischen Halbinsel verfassten Übersetzungen, durchgeführt von den Geistlichen Pascasio und Martín, im heutigen Portugal. Es handelte sich um eine Ansammlung moralisierender Sentenzen, die aus dem Griechischen in das Lateinische übertragen wurden10. Der Fall der Goten und der Einmarsch der Maurer im Jahr 711 würde die Übersetzungstätigkeit im mittelalterlichen Spanien prägen. Bis in das zehnte Jahrhundert sind allerdings keine weiteren Übersetzungen mehr überliefert. In Córdoba würde das Interesse des Kalifen Abd ar-Rahman III. an griechischen medizinischen Texten die Übersetzungstätigkeit auf der Halbinsel erstmals wiederbeleben. Von dem Moment an steigt die Zahl der Übersetzungen erheblich an und es bildeten sich zahlreiche Zentren des kulturellen Austauschs. Juden, Araber, Mozaraber und Christen waren in einem wechselseitigen Austausch verwickelt, sodass Griechische Texte, oftmals christliche Werke aus dem byzantinischen Kulturbereich, in das Arabische, aus dem Arabischen in das Lateinische und daraus in das Romanische übersetzt wurden. Vor allem waren es wissenschaftliche Texte, die in das Arabische übersetzt wurden. Religiöse, christliche Texte wurden meist zu missionarischen Zwecken in das Lateinische oder Romanische übersetzt. Eine zentrale Übersetzungsschule, die mythische Schule von Toledo11, hat es jedoch nie gegeben. Die Übersetzungen waren zu dieser Zeit oft noch sehr wörtlich, da sie sich lediglich um das Verständnis des Ausgangstextes und nicht um die Form des Zieltextes kümmerten. Nicht zuletzt waren sie auch noch von der religiös geprägtem Überzeugung beeinflusst, man solle das Wort Gottes so treu wie nur möglich wiedergeben. Erst die italienische Renaissance würde auch in der spanischen Literatur neue Möglichkeiten eröffnen.

In Spanien, wie in ganz Europa, hatte die italienische Literatur, insbesondere Petrarca und Boccaccio, entscheidenden Einfluss. Petrarca würde im italienischen Quattrocento eine vorbildliche Stellung einnehmen, welche durch Juan Boscán Almogávar und Garcilaso de la Vega zu Beginn des sechzehnten Jahrhunderts auch in Spanien vertreten sein würde und somit den Anfang der spanischen Renaissance bildete. Formelle Innovationen der italienischen Literatur fanden so Eintritt in die spanische Dichtung, wie zum Beispiel die Form des soneto und das Versmaß des endecasílabo (Elfsilber). Der Schritt ist insofern wichtig, als er den Bezug des romance, der spanischen, vulgären Sprache, zum Lateinischen in neues Licht fallen lässt. Während die italienische Literatur mit Petrarca, Boccaccio und Dante bereits einen literarischen Kanon in der eigenen Sprache aufgebaut hatte, bestand die spanische literarische Kreation weitgehend in Übersetzungsübungen, die stark von ihren lateinischen und italienischen Ausgangstexten und Vorbildern abhängig waren.

Bei der Analyse der Verse von Quevedo und ihres Bezugs zu der Produktion von Martial muss dem Vorhergesagtem zufolge eine Distanz zur modernen Übersetzungstheorie aufgewiesen werden. Es lässt sich, bei allem patriotischem Stolz, der den spanischen Übersetzern des Barocks zuzumuten ist, nicht annehmen, dass der Ausgangspunkt einer Übersetzung vom Lateinischen ins Spanische die Annahme war, dass beide Sprachen auf demselben Niveau operierten. Diesen Unterschied zu begleichen wäre die Aufgabe der Literaten, in Anlehnung an die von Cicero suggerierte Übersetzungstätigkeit. Dementsprechend kann auch eine universalistische Übersetzungstheorie nur ansatzweise angewandt werden. Kommentare und Reaktionen auf unterschiedliche Übersetzungen verschiedener Autoren lassen darauf schließen, dass es bei diesen vor allem darauf ankam, ein breites Wissen über die Antike (sowohl Sprach- wie auch Weltwissen) bei der Übersetzung zutage zu legen und entsprechend anzuwenden. Hierbei sollte sich der Charakter des romance ausbilden. Wörtliche Übersetzungen literarischer Werke, vor allem Lateinischer und Italienischer, waren zur Zeit der Renaissance in Spanien verbreitet, wurden allerdings nicht mehr hoch angesehen, wie es die Aussagen von Valdés12 bestätigen. Trotzdem wurde die Aufgabe des Übersetzens als legitimes Mittel angesehen, um literarisches Schaffen zu begründen.

Moderne Versuche, ein theoretisches Gerüst für die Übersetzung aufzubauen, beginnen später im romantischen Deutschland stark relativistisch: Wilhelm von Humboldt spricht die Unmöglichkeit des Übersetzens aus und versteht, dass jede Sprache Ausdruck der Denkweise eines Volkes und seiner Kultur ist. Schleiermacher versucht diese theoretische Schwierigkeit zu überbücken, indem er auf die Möglichkeit einer verfremdenden Übersetzung hinweist. Ein prominentes Beispiel für ein solches Übersetzungsverfahren bieten die Homerübersetzungen von Heinrich Voss. Wenn kulturhistorisch betrachtet zwar interessant und auch vor der Moderne nachweisbar, kann das dieser Ansicht entspringende Übersetzungsverfahren nicht in die Martial-Versionen von Quevedo hineingelesen werden. Weder schreibt Quevedo verfremdend noch lässt sich von seinen Übersetzungen auf die Annahme der theoretischen Unmöglichkeit derselben schließen. Ausgehend von diesen Umständen, schiene es notwendig, bei der Analyse der Martial-Übersetzungen von Quevedo eine im Ansatz universalistische Übersetzungstheorie vorausgesetzt werden, was aber bereits abgelehnt wurde. Der spanische Dichter versucht in seiner Sprache dieselbe Gedankenkonstellation wiederzugeben, die im lateinischen Original anzunehmen war, wobei er zugleich einen neuen Kanon erschafft. Die vorauszusetzenden außersprachlichen Universalien, das tertium comparationis, wurden interessanterweise im Barock und Renaissance oft mit unter Gelehrten verbreiteten alten Sprachen, unter ihnen besonders das Lateinische, gleichgesetzt. Dies bezeugen Projekte wie das der Universalsprache René Descartes oder die Grammatica Vniuersalis von Port Royal. Wenn der Ansatz aus heutiger Sicht auch zu beschränkt erscheinen mag erklärt er doch den Erfolg und die Gültigkeit antiker Übersetzungstheorien zum Ende des Mittelalters insofern die Übersetzung als sprachliche Übung und Demonstration literarischen Könnens verstanden wurde. An dieser Stelle muss nochmals erläutert werden, dass die Dichotomie der wörtlichen und der sinngemäßen Übersetzung spätestens seit Hieronymus im christlichen Europa besonders die Bearbeitung religiöser Texte betrifft. Obgleich der Heilige sich, wie bereits erwähnt, bei der Übersetzung von literarischen Texten eher für eine Sinngemäße Wiedergabe ausspricht, war der Einfluss der auf die religiösen Texte verschiedener Religionen der iberischen Halbinsel bezogenen Diskussionen im Mittelalter so stark, dass wörtliche Übersetzungen in Spanien auch für literarische Texte bis in das fünfzehnte Jahrhundert üblich und verbreitet waren. Auch ist an dieser Stelle zu beachten, dass der Unterschied, der hier zwischen religiösem und literarischem Text vollzogen wird, ein moderner ist, wie man es zum Beispiel an der Übersetzung des Hoheslied (Cantar de los Cantares) von Fray Luis de León und der hitzigen Debatte, die diese Übersetzung auslöste, erkennt.

Das Prestige des Lateinischen hielt es noch lange Zeit als Literatursprache aufrecht und ließ das Vorhaben, die vulgären romanischen Sprachen mit ästhetischen Absichten zu gebrauchen, bis zur Renaissance als unangemessen erscheinen. Die Verständnisschwierigkeiten, die viele Geistige an einer akkuraten Interpretation der lateinischen Liturgietexte hinderte, zwang jedoch schon früh dazu, Glossen in romance zu verfassen, die einzelne Vokabeln erläuterten. Isidor von Sevilla hatte bereits im siebten Jahrhundert eine Art enzyklopädisches Kompendium in Latein verfasst, die Etymologiarum siue originum libri, die sich auch auf Martial13 bezogen. Parallel lässt sich auch eine mündliche literarische Tradition nachweisen, die im mittelalterlichen Spanien mit dem Epos Cantar del Mío Cid Eintritt in die schriftliche, aber noch apokryphe Tradition fand. Ein tatsächliches Bewusstsein der Besonderheit der eigenen Sprache, das schriftliche Literaturerzeugnisse mit namentlich bekanntem Autor rechtfertigen würde, entstand erst langsam im vierzehnten Jahrhundert, als mit der Verdrängung der Araber sich die Übersetzungstätigkeit auf der Halbinsel nach Europa wandte. Das Arabische verlor, zugunsten des Lateinischen, der romanischen Sprachen und, im geringerem Maße, des Griechischen, als Ausgangssprache an Bedeutung. Bereits im fünfzehnten Jahrhundert sind, wie García Yebra14 schreibt, die meisten der originellen Schriftsteller auch Übersetzer. In diesem Jahrhundert erscheint auch erstmals der Versuch, die Grammatik der spanischen Sprache festzulegen: Antonio de Nebrija veröffentlicht 1492 die Gramática Castellana, allerdings noch auf Latein.

Laut der Bibliografía hispano-latina clásica von Menéndez Pelayo setzen die literarischen Verarbeitungen, als Übersetzungen oder Nachahmungen, der Epigramme Martials um 1550 ein, parallel zum Beginn des Siglo de Oro, dem goldenen Zeitalter, dem auch Quevedo und Góngora angehören. Die kommentierte, zehnbändige Anthologie von Menéndez Pelayo bietet in ihrer Ausdehnung ein klares Zeichen dafür, welche Wichtigkeit vor allem hispanische lateinische Autoren von dem Zeitpunkt an, wenn nicht schon früher, in der spanischen Literatur erlangten. Im vierten Band der Biblioteca de traductores españoles, ebenfalls von Menéndez Pelayo erfasst, ist nachzulesen, dass Quevedo selber zahlreiche Werke von Seneca, Plinius dem Jüngeren, Juvenal, Tacitus und Martial übersetzte. Zweifels ohne waren ihm die Übersetzungen, die in mehreren Werken des Cicero auftauchen, bekannt. In dem Sinn werden auch die folgenden Übersetzungen gelesen.

3. Die Versionen von Quevedo

In diesem Abschnitt werden Inhalt und Form dreier Übersetzungen, die Quevedo von Martials Epigrammen liefert, kommentiert. Es handelt sich hierbei um die Gedichte A Jácome Mortero, A don Luis de Góngora und A un marido..., die sich jeweils auf Mart. II, 3, Mart. III, 9 und Mart. III, 85 beziehen. Die Passagen werden in einem durchgängigen Text kommentiert und bieten einen Anstoß, sodass das vorher Theorisierte exemplifiziert werden kann und Bezüge und generelle Erläuterungen ihren Platz finden. Die Gedichte selber, sowohl die Lateinischen wie auch die Spanischen, sind im Anhang zu lesen.

Die bereits dargelegten Eigenschaften der epigrammatischen Dichtung, ihr Witz und ihre Knappheit, dürften auf Quevedo besonders attraktiv gewirkt haben. Die Tatsache, dass es sich bei Martial eben um einen hispanischen Dichter handelt, der aber auch das typisch römische aceto italico in seinen Versen zum Vorscheinen brachte, dürfte ebenfalls ausschlaggebend für die Versionen des spanischen Dichters gewesen sein. Mit kurzen, spitzen Worten vermochte es Martial wohlhabende und gut angesehene Persönlichkeiten aus der Sicht eines ärmeren, aber reizvollen Dichters, zu verspotten. Um 1648 würde auch Baltasar Gracián in der rhetorischen Abhandlung Agudeza y arte de ingenio die spanische Vorliebe für das Sprichwörtliche (refranes) erläutern.

Schon vor Quevedo schrieben Garcilaso de la Vega, Fernando de Herrera, Juan de Mal-Lara und Baltasar de Alcázar, der auch als „der andalusische Martial“ bezeichnet werden würde, Übersetzungen von Martial15. Von diesen machte allerdings nur der Letzte, außer von dem soneto, Gebrauch von dem Achtsilber. Als guter Kenner der Satiren des Juvenal, entwickelte auch Quevedo eine Poesie, die die Position von Mächtigen und aus der Sicht des Dichters übermütigen Intellektuellen infrage stellte. Er entwickelte einen Stil, der durch seine Niedrigkeit in der Darstellung von Unsitten seiner Mitmenschen auszeichnen würde. Ob das Bild des Dichters, dem Frauen, Ärzte und runtergekommene Adelige zutiefst verhasst waren, gerechtfertigt ist, sei dahingestellt. Eine allzu persönliche Stellungnahme des Autors sollte man auch mit Rücksichtnahme auf den satirischen Charakter in seinen Texten nicht vermuten. Trotz, oder gerade wegen dieser Niedrigkeit, ist ein moralisierender Gedanke, zumindest bei Quevedo, nicht auszuschließen. So könnte man beispielsweise bei der Lektüre von A un marido..., das sich auf Mart. III, 85 bezieht und genau wie das lateinische Modell die Rache eines betrogenen Mannes an den Fremdgeher schildert, verstehen, dass Quevedo, wenn er den betrogenen Gatten als „tonto“ bezeichnet, eine härtere Strafe für den Fremdgeher fordert. Gleichzeitig bemerkt der Dichter ganz nebenbei, dass der Gattin durch das Abschneiden eben dieses Körperteils nichts verloren geht und lässt dadurch erahnen, dass sich das Vergehen wiederholen wird, was das Gedicht nochmals überspitzt.

Bei Martial und Quevedo findet sich dementsprechend ein und derselbe Gedanke, formell jedoch an die spanische Gedichtform, die auch dem romancero zugrunde liegt, angepasst. Das Versmaß, das Quevedo benutzt, der Achtsilber (octosílabo métrico de arte menor), ist schon früh in populären spanischen Dichtungen nachweisbar und wird auch von einem der ersten spanischsprachigen Epigrammatikern, Cristóbal de Castillejo (ca. 1490 bis 1550), benutzt. Der moralische Aspekt des Epigramms würde im Spanien der Illustration durch León de Arroyal mit Los epigramas (1784) fortgeführt. Der Umstand, dass das Niedrige im Menschen unschön zutage gebracht wird, bringt die poesía burlesca in ein direktes Spannungsverhältnis zur epischen, idealisierenden oder panegyrischen Darstellung. Die Verherrlichung erwirkt in der Satire das Gegenteil ihrer Absicht und wandelt sich somit ins Groteske. So verhält es sich beispielsweise bei dem Epigramm A Jácome Mortero, das sich auf Mart. II, 3 bezieht. Während Martial wohl auf das Lächerliche eines Bettelarmen abzielt, sieht Quevedo es auf einen bestimmten bankrotten Bankier ab. Jácome Mortero hielt gegen Ende des sechzehnten Jahrhunderts ein Bankenmonopol in Sevilla inne, das jedoch im Jahr 1600 Bankrott meldete16. Von dem Epigramm des Martial kann kaum genaueres über den genannten Sextus erläutert werden: die Quellenlage und der Text selber ist zu knapp. Ob jener Sextus aus ärmeren Verhältnissen stammte oder er einen Schicksalsschlag erlitt ist nicht zu klären. Quevedo hingegen liefert zahlreiche Details zu den Umständen dieser Person, sodass es möglich ist, sie anhand des Namens zu bestimmen.

Ähnlich wie bei Martial, sind die namentlich genannten Personen, an die einige der Verse gerichtet sind, nicht immer zu identifizieren, was sich durch die polemische Natur der Gattung oder durch literarische Notwendigkeit erklären ließe, wie es häufig der Fall bei Epigrammen, die Frauen gewidmet sind, ist. Viel wichtiger allerdings ist es, an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass es auch nicht immer sinnvoll ist einem literarischen Eigennamen eine historisch fassbare Identität zuzuweisen, vor allem bei Martial. Trotzdem ist ebendies an einigen Stellen bei Quevedo möglich, da Namen und Nachnamen in einem Kontext genannt werden, die keinen Anlass zum Zweifel bieten. Ähnlich wie bei dem Fall von Jácome Mortero, geschieht dies bei der Version Quevedos des Epigramms II, 9, das von Martial für einen gewissen Cinna bestimmt war. Über Cinna lässt sich wenig sagen, außer dass der Name in anderen Epigrammen, oftmals in Zusammenhang mit homosexuellem Inhalt, auftaucht. Dass es sich dabei um denselben Cinna handelt, ist zwar nicht auszuschließen, aber auch nicht ohne Weiteres anzunehmen. Quevedo seinerseits spricht keinen geringeren, als seinen literarischen Rivalen an: Don Luis de Góngora. In diesem Epigramm nimmt Quevedo Bezug auf die äußerst komplexe Schaffenstechnik seines Gegners, den culteranismo, der darauf absah, formell schwer und nur mit einer weitumfassenden Bildung durchdringbar zu sein. Ein gewisser kultureller Elitismus schwang dementsprechend bei den Werken von Góngora mit. Quevedo schreibt also eine pointierte Kritik, wenn er sagt, dass es niemanden gibt, der solche Verse lesen könne. Einerseits verweist er auf die Natur dieser Anschauung selber, andererseits benutzt er eine noch heute volkstümliche Wendung (no hay quien + Objekt + Verbum im Subjunktiv Präsens) um Ablehnung gegenüber dem vermeintlich hoch Kultiviertem auszudrücken. Auch das Versmaß, der Achtsilber, ist in der spanischen Volksdichtung verbreitet, imitiert die Kadenz der gesprochenen Sprache und bietet somit das geeignete Pendant zum lateinischen Distichon.

Quevedo übertragt nicht nur den Inhalt der Epigramme von Martial in das Spanien des goldenen Zeitalters, sondern beachtet auch die Formen. Die seinen sind äußerst simple Muster. Quevedo bemüht sich nicht um komplexe Stilfiguren oder rhetorische Mittel, wenn sie nicht dem Verständnis oder der unmittelbaren Ausdruckskraft dienlich sind. Trotzdem wäre es ein Fehler, anzunehmen, dass seine Dichtung durch ihren volksnahen Charakter belanglos sei. Komplexität birgt nicht immer tiefgründigere Gedankengänge. Ganz dieser Idee gilt das spanische Sprichwort „Lo bueno, si breve, dos veces bueno“.

4. Schlusswort

Wenn man das Werk von Quevedo mit dem des Martials vergleicht und sich der Distanz, die die beiden Autoren voneinander trennt, bewusst wird, mag es schwierig erscheinen, einen direkten Bezug zwischen ihnen herzustellen. Es handelt sich eben nicht um eine wörtliche Übersetzung, sondern um eine literarische. Trotzdem lässt einiges erahnen, dass die Verständnis- und Deutungsschwierigkeiten nicht dadurch behoben sein würden, dass man Wort für Wort übersetzt. Das Weltwissen, das den beiden Autoren zur Verfügung stand, obgleich Quevedo ein in der Antike äußerst gelehrter Literat war, war nicht dasselbe. Diese Distanzen zu überbrücken, erscheint als eine fast unmöglich zu bewältigende Aufgabe. Trotzdem ist die literarische Qualität beider Autoren auch heute noch unbestritten, in einer Zeit, in der kaum jemand von sich behaupten kann, die Schlüssel zum vollkommenen Verständnis der Texte zu besitzen. Auch wir sind Menschen unserer Zeit und stehen somit in großer Distanz, sei es zum Siglo de Oro oder zur römischen Kaiserzeit. Umso spannender ist der Versuch, nachzuvollziehen, was es ist, das bewirkt, dass sich Menschen auch heute noch mit diesen Texten befassen. Dass in Schulen und Universitäten, aber auch im privaten Bereich Martial heute noch gelesen und —wenn auch wohl nicht so, wie vor zwei Jahrtausenden— verstanden wird. Dass sich bei beinahe jedem, der im spanischsprachigem Bereich eingeschult wurde, sich etwas regt, wenn man die Worte „Érase un hombre a una nariz pegado“ hört, und ein Lächeln erscheint.

Unbestreitbar scheint mir die Tatsache, dass Martial und Quevedo in einer gewissen Hinsicht geistesverwandt und miteinander verbunden sind, wie es jeder ist, der aufmerksam die Worte eines anderen liest, verinnerlicht und nachempfindet. Wie beide Dichter andeuteten, ist es ein Merkmal der Literatur, wenn man sie denn so benennen möchte, dass sie gelesen wird. Dementsprechend kann jeder Versuch, Worte, einen Text, oder ein ganzes Werk zu verstehen von sich an bereits als ein Übersetzungsakt verstanden werden. Meiner Meinung nach ist es auch das, was gute Literatur ausmacht: dass man sich nie sicher ist, ob man einen Text in all seinen Nuancen verstanden hat. Die Geschichte der Epigramme Martials lese ich als Palimpsest. Quevedo aus der Lektüre des römischen Dichters auszublenden ist für mich nicht mehr möglich.

Quellen

Francisco Lafarga und Luis Pegenaute (Hrsg.): Historia de la traducción en España. Editorial Ambos Mundos, Salamanca, 2004.

Gerhard Pfohl (Hrsg.): Das Epigramm. Zur Geschichte einer inschriftlichen und literarischen Gattung. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt, 1969.

Ignacio Arrellano Ayuso: Poesía satírico burlesca de Quevedo. Estudio y anotación filológica de los sonetos. Editorial Iberoamericana, Madrid, 2003.

Federico Carlos Sáinz de Robles: El epigrama español. M. Aguilar editor, Madrid, 1946.

Ana Martínez Arancón: Marcial-Quevedo. Editora Nacional, Madrid, 1975.

Radegundis Stolze: Übersetzungstheorien. Eine Einführung. Narr Verlag, Tübingen, 2011.

Bianca-Jeanette Schröder: Einführung in das Studium der lateinischen Literatur. Ein Arbeitsbuch. Narr Verlag, Tübingen, 2010.

Susan Bassnett: Translation. Routledge, New York, 2014.

Francisca Moya del Baño: El Marcial de Quevedo, in Humanismo y pervivencia del Mundo Clásico, IV.1 (2008) Seiten 181 bis 192.

Antonio López Ruiz: Sobre Quevedo traductor de poesía clásica, in Emilio Barón (Hrsg.): Traducir poesía. Universidad de Almería, Almería, 1998.

Marcelino Menéndez Pelayo: Biblioteca de traductores españoles. Tomo IV. Consejo Superior de Investigaciones Científicas, Santander, 1953.

Marcelino Menéndez Pelayo: Bibliografía hispano-latina clásica. Tomo VII. Consejo Superior de Investigaciones Científicas, Santander, 1951.

Bilder

Francisco de Zurbarán: Fray Pedro Machado. ca. 1630. Google Art Project (Aufgerufen am 18. Juni 2016). https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/6/66/Francisco_de_Zurbarán_-_Fray_Pedro_Machado_-_Google_Art_Project.jpg

Anhang

A Jácome Mortero
Estando Jácome preso
porque quebró, quiso un día
saber qué deudas tenía
sin tener un real con eso.
Mortero, yo lo confieso:
nada debes sin dudar;
que nada debes, probar
podemos, Mortero, bien,
porque sólo debe quien
puede sus deudas pagar.
II, 3
Sexte, nihil debes, nil debes, Sexte, fatemur.
   Debet enim, si quis soluere, Sexte, potest.
 
 
 
 
 
 
 
 

 

A don Luis de Góngora
Dice don Luis que me ha escrito
un soneto, y digo yo
que, si don Luis lo escribió,
será un soneto maldito.
A las obras me lo remito:
luego el poema se vea.
Mas nadie que escribe crea
mientras más no se cultive,
porque no escribe el que escribe
versos que no hay quien los lea.
III, 9
Versiculos in me narratur scribere Cinna.
   Non scribit, cuius carmina nemo legit.
 
 
 
 
 
 
 
 

 

A un marido que cortó las narices
del galán de su mujer

¿Quién te persuadió a quitar
al adúltero infeliz
la nariz?, pues la nariz
no te puede deshonrar.
Tonto, ¿qué has hecho en cortar
la que sólo sabía oler?
Nada perdió tu mujer
en esto, si lo has notado,
pues al otro le ha quedado
con qué volverte a ofender.
III, 85
 
Quis tibi persuasit nares abscidere moecho?
   Non hac peccatum est parte, marite, tibi.
Stulte, quid egisti? nihil tibi perdidit uxor,
   cum sit salua tui mentula Deiphobi.
 
 
 
 
 
 

Anmerkungen

  1. 1 Vid. CIL VI 1284 und 1285
  2. 2 Cic. Arch. 25.5
  3. 3 Mart. I. 38 et al.
  4. 4 Varro Sat. Men. 398.1
  5. 5 Enn. frg, uar. 17 ss.
  6. 6 Zum Beispiel bei den Inschriften aus Pompeji oder später bei Ausonius, Alciato, Covarrubias und Gracián.
  7. 7 Cic. De or. I, 155
  8. 8 Cicero benutzt in diesem Kontext das Verb imitare, wobei im Nachhinein der Vorgang der freien Übersetzung des Öfteren mit dem Wort aemulatio, das von Quintilian gebraucht wurde, bezeichnet wird.
  9. 9 Quint. Inst. X, 5, II
  10. 10 Die beiden Geistlichen verfassten jeweils die Werke Verba seniorum und Sententiae Patrum Aegyptiorum.
  11. 11 Siehe hierzu Clara Foz: Le traducteur, l'Église et le Roi, Les Presses de l'Université d'Ottawa, 1998.
  12. 12 Juan de Valdés: Diálogo de la lengua, sechzehntes Jahrhundert.
  13. 13 Verweise auf Martial sind vor allem im Buch XII dieses Werkes aufzufinden, das sich mit Tieren befasst.
  14. 14 Valentín García Yebra: Traducción: historia y teoría, Gredos, 1994.
  15. 15 Siehe hierzu die Einführung von Rosario Moreno Soldevila in Marco Valerio Marcial: Epigramas, Volumen I, Consejo Superior de Investigaciones Científicas, 2004.
  16. 16 Siehe hierzu Luis Suárez Fernández und José Andrés Gallego: La crisis de la hegemonía española, siglo XVII, Ediciones Rialp, 1986.

 

Hausarbeit vom dreiundzwanzigsten Januar zweitausendsechzehn zu der Veranstaltung: Prof. Dr. Ulrich Schmitzer: Literarische und nicht literarische Epigramme. Humboldt-Universität zu Berlin, Sommersemester 2015.

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